In Bremen sind die “Querdenker“-Aufmärsche nahezu zum Erliegen gekommen. Die Strategie der Szene hat sich im Norden geändert. Statt illegaler “Spaziergänge” finden in den Provinzregionen angemeldete Aufmärsche statt. Die Regionalisierung der kleineren Aufmärsche täuscht zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen, die Gefahr einer Verfestigung der Szene auf den Straßen sei vorbei. Ein Blick nach Syke, Verden und Delmenhorst zeigt das Gegenteil.
In Bremen marschiert weiterhin wöchentlich eine überschaubare Gruppe der “Querdenker“-Szene am Stadtrand, ohne relevante Außenwirkung. Ähnlich im nah gelegenen Ritterhude. Dort zogen zuletzt Hunderte der Szene durch die provinzielle Landschaft. Angeführt von einer Gruppe Neonazis aus der Region Osterholz, die sich als Ordner positionierten. Zu Beginn der Woche zog es nicht einmal mehr 30 Personen nach Ritterhude. Die Szene scheint am Ende. Doch anders sieht es in Verden, Delmenhorst, Syke und weiteren Kleinstädten im Norden aus. In diesen Provinzstädten bleibt die Szene weiterhin unverändert in Wartestellung, mit bis zu mehreren Hundert AkteurInnen auf der Straße. Nur wenige AntifaschistInnen intervenieren in der Region. Was sie um so angreifbarer macht. Die Zivilgesellschaft aus Gewerkschaft, Kirchen oder Parteien interessieren marschierende Neonazis in ihrer Region schon überhaupt nicht mehr.
Von der Pandemie-Leugnung zur Leugnung eines Angriffskrieges
Gewartet wird auf Krisen, auf geeignete Themen, die wieder vermehrt Fans der Szene auf die Straße ziehen sollen. Das Thema “Impfen” ist zunehmend verbrannt. Feindbilder der neuen Bundesregierung müssen erst mühselig aufgebaut werden. Nun wird versucht schleichend auf das Thema “Ukraine-Krieg” umzusteigen. Dabei wird seit Beginn des Angriffskrieges, Putins Russland vereinfacht als das Opfer und die westlichen Demokratien samt NATO als alleinige Täter umgedeutet. Die Gründe für den Krieg, wie in einem Orwell-Roman, von Woche zu Woche anders begründet. Wer tiefer in diese Propaganda eintaucht, erkennt hier erneut die antisemitische Erzählung eines vermeintlichen “geheimen Plans globaler Eliten“.
Ein kleinerer Teil folgt der russischen Propaganda nicht und will sich auf der Seite der Ukraine sehen. Was bundesweit in den letzten Wochen zu weiteren Spaltungen und fortlaufenden Streitigkeiten innerhalb der Szene führt. Für Anhänger Putins, die mitunter in Bremen bereits mit dem Schmieren des verbotenen “Z”-Symbols auffallen, sind die nachweislich Tausende getöteten ZivilistInnen in der Ukraine durch russische Angriffe, sowie ukrainische Opfer der Massaker, eine Erfindung des Westens. Die Stichworte und Fakenews liefert der Kreml. Die Umdeutung ist für die Szene zunehmend wichtig, um das eigene “Opfer”-Narrativ aufrecht erhalten zu können. Reale Opfer eines Krieges durch einen realen Despoten, darf es neben der eigenen “Opfer”-Erzählung nicht geben. Wer sich durch Impfung und Maske tragen müssen “wie Anne Frank fühlt“, bekommt sicherlich keine Aufmerksamkeit, wenn daneben ukrainische Geflüchtete reale Erlebnisse von Gräultaten schildern. Also sorgt die Szene in ihrer Parallelwelt dafür, dass es einfach gar keine ukrainischen Opfer gibt.
Koordiniert wird weiterhin aus einschlägig rechten Telegram-Kanälen. Dort wird von den AdministratorInnen tagtäglich jedes erdenkliche Thema durchgespielt, in der Erwartung irgendeines davon müsse genug emotionalisieren, um wieder “Massen” auf die Straße zu ziehen. Doch der Schwund der Beteiligung wird auch im Norden der Republik in den Großstädten wöchentlich sichtbarer und damit auch, welche radikalisierte Mischszene am Ende von zwei Jahren antisemitischer Verschwörungserzählung übrig bleibt. Es sind vor allem Reichsbürger, Neonazis und immer wieder regional bekannte AfD-FunktionärInnen.
Gewalt und die Folgen werden ignoriert
In der nahe gelegenen Kleinstadt Syke, finden weiterhin wöchentlich Aufmärsche der “Querdenker“-Szene statt. Verantwortlich für die Mobilisierung in der Region zeichnet sich der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführte Kanal “Freie Niedersachsen“. Ein Kanal der sich nicht nur namentlich an den extrem rechten Kanal “Freie Sachsen” anlehnt und wie eben jener, ein Sammelbecken für verschiedene Strömungen der verschwörungsideologischen bis extrem rechten Szene ist. Aktuell ziehen wöchentlich jeden Mittwoch bis zu 150 Personen durch die Kleinstadt und versuchen, trotz bundesweiten Rückgang der Beteiligung, ein Ort der Vernetzung und Rekrutierung der rechte Szene in der Provinz zu bleiben. An den Kopf setzt sich hier die AfD.
Wie mehrere AugenzeugInnen und Betroffene berichten, kommt es dort auch regelmäßig zu Hetzjagten gegen AntifaschistInnen und kritischen PressevertreterInnen. Bereits im April 2021 verfolgten im Zuge der “Corona-Proteste“, mehrere Neonazis ganz gezielt AktivistInnen eines antifaschistischen Gegenprotestes und verletzten diese. Am 23.03.2022 zog ein Akteur der Szene aus einer Gruppe heraus, nach Ende des Aufmarsches an einem Imbiss, ein Messer und versuchte damit AntifaschistInnen zu verletzten. Die örtliche Polizei sei überfordert bis desinteressiert, solche Taten konsequent zu verfolgen. Ihr Interesse sei mehr auf den Gegenprotest gerichtet, da dieser sich antifaschistisch äußere. Das Leugnen der Polizei von Rechtsextremismus habe Tradition. So die Meinungen im Netz. Ein offensichtlich neonazistisch motivierter Brandanschlag auf das “Restaurant Martini”, wurde von der Polizei bereits zu beginn der Ermittlungen entpolitisiert und schließlich die Ermittlungen vorauseilend eingestellt. Die seit Jahrzehnten in der Provinz-Region verfestigte Neonazi-Szene wird von Behörden geleugnet. Die Betroffenen sehen sich schutzlos der militanten Szene der “Querdenker” ausgesetzt, die durchsetzt ist mit Neonazis, welche von mitunter bekannten Netzwerken der rechten Szene getragen wird.
Angriffe erfolgten auch in der Region Verden vergangenen Montag. Auch dort zog ein Akteur ein Messer. Wie die Ortspolizei via Twitter bestätigte, konnte das Messer sichergestellt werden. In Verden greifen immer wieder AkteurInnen Andersdenkende an. Drei BeamtInnen wurden verletzt, nachdem sie von Männern mit Fahnenstangen angegriffen wurden. Die Täter marschieren im Kreise von “Die Basis”, Evangelikalen und selbsternannten “Russlandfreunden”, die offen ihre Positionierung zu Putin deutlich machen. Die Netzwerke reichen bis zur Kanzel der Bremer Martini-Kirche. In Delmenhorst versuchte ein Akteur sogar mit seinem PKW vor Ort PolizeibeamtInnen zu überfahren. Die stets promt folgenden Verharmlosungen der zuständigen Behörden, liefert weiterhin den Schutzraum für die TäterInnen. In Bremen stellte die Polizei erst nach mehrfachen Hinweis von PassantInnen widerwillig ein Messer bei einem Akteur der Szene sicher. Der zuvor mit dem Messer einen Gegenprotest bedroht und damit eine AntifaschistIn während des Aufmarsches an der Hand verletzt hatte. Diverse AugenzeugInnen berichteten über den Vorfall. Eine Vernehmung des Täters nach Sicherstellung des Messers fand nicht statt. Der Täter blieb im Nachgang unbehelligt durch Behörden und bedrohte folglich im März 2022 während eines “Querdenker”-Aufmarsches in Bremen-Vegesack einen Pressefotografen.
Beteiligung regionaler AfD-Funktionäre und militanter Neonazis
In Syke tauchte in den vergangenen Wochen der Bremer AfD-Abgeordnete Heiner Löhmann auch bei jenem Aufmarsch auf, bei dem ein Messer gezogen worden sein soll. Teilnehmende des Gegenprotestes wollen Löhmann mit dem Täter im Gespräch gesehen haben. Bereits zu Beginn der sogenannten “Hygiene-Demos” war Löhmann 2020 als Teilnehmer der Aufmärsche auf dem Bremer Marktplatz erkannt worden. Beim rechtswidrigen Aufmarsch einer bundesweit beworbenen “Querdenken”-Versammlung am 05.12.2020, war Löhmann im Bremer Bürgerpark mit einigen weiteren bekannten AkteurInnen der Szene polizeilich festgesetzt worden. Seine Unterstützung für verschwörungsideologische Propaganda und Fakenews in den sozialen Medien zur Pandemie, sind hinreichend dokumentiert. Zuletzt nahm Löhmann in Bremen im Stadtteil Findorff an einer “Querdenken 421“-Versammlung teil, unter anderem im Kreise von einschlägig bekannten AkteurInnen der Reichsbürger-Szene. Um sich ihrer Verantwortung zu entziehen, bezeichnen AfD-Abgeordnete ihre Beteiligung offiziell als “Beobachtung”.
Löhmann marschierte auch schon in der Woche zuvor in Syke mit Neonazi und AfD-Funktionär Andreas Iloff, sowie Michael Schnieder, aus dem AfD-Kreisverband Diepholz, am Kopf der Versammlung. Gemeinsam mit einer Mischszene aus Reichsbürgern, “Die Basis“-AkteurInnen, rechtsoffenen EsoterikerInnen, AfD-Fans und weiteren Neonazis durch die niedersächsische Ortschaft. Beobachtungen nach, zielen die regionalen AfD-Verbände hier auf Vernetzung und Abfischen des verschwörungsideologischen Klientels für parteistrategische Zwecke. Löhmann ist kein unbeschriebenes Blatt. Seit Jahrzehnten hat Löhmann seinen Lebensmittelpunkt in Syke. Vor seinen Aktivitäten in Bremen, war Löhmann in Kreisverband von Andreas Iloff in dessen Vorstand. Seine Unterstützung für Björn Höcke und extrem rechte Organisationen, wie der “Identitären Bewegung“, finden sich hinreichend im Verlauf seiner Social-Media-Konten. Auch tauchte sein Name in Verbindung mit der verbotenen Neonazi-Gruppe “Phalanx 18” auf. Löhmann sei 2019 bei der “Kontaktaufnahme” der Gruppe zum Bremer AfD-Schatzmeister Mertcan Karakaya dabei gewesen.
Aktuell lassen Äußerungen des Abgeordneten Löhmann auf seinen Social-Media-Kanälen den Schluss zu, dieser sympathisiere mit der Politik des russischen Despoten und Kriegsverbrechers Wladimir Putin. Der Kommentar eines AfD-Fans auf seinem Facebook-Kanal: “Bei dem Säbelrasseln zu Zeit stehe ich auf pro-russischer Seite!!“, wurde von Löhmann mit einem Like honoriert. Sämtliche Postings von Löhmann der letzten Wochen, positionieren sich überwiegend pro-russisch. Noch radikaler in den pro-russischen Jubel über einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, taucht Andreas Iloff ein. Dieser zeigt sich demonstrativ auf seiner Facebook-Seite mit “Russlanddeutschen” und verteufelt ungeniert ukrainische Geflüchtete, in dem er darauf hinweist, was ein Geflüchteter kostet. Das Netzwerken in Syke durch AfD-Funktionäre ist wenig überraschend. In allen Bundesländern mit aktiver Szene auf der Straße, versucht sich die AfD als Strippenzieherin.
So findet sich für die Mobilisierung in Syke auf dem offiziellen Mobilisierung-Material für die Aufmärsche, Motive der AfD. Auch bewerben AfD-Kanäle die Veranstaltungen in der Region. Besonders auffällig, beim Aufmarsch der Szene am 02.03.2022 fanden sich ausschließlich auf der Demonstrationsroute AfD-Plakate mit der Aufschrift “Ja, zur Freiheit!” und “Nein, zum Impfzwang!”.
AfD-Funktionäre verstrickt in bekannte Neonazi-Netzwerke
Die mit der AfD vernetzten AkteurInnen vor Ort sind ebenso Teil der extrem rechten Szene. So soll der mit Iloff befreundete AfD-Fan Luca Lüllmann auf den Aufmärschen eine gewichtige Rolle spielen. Die Facebook-Seite von Lüllmann zeigt diverse Likes für extrem rechte Organisationen, darunter der NPD. 2021 soll Lüllmann aus einer Demo heraus den “Hitlergruß” gezeigt haben. Das Verfahren wurde eingestellt. Mit ihm auf der Versammlung in Syke auch Personen mit “Thor Steinar“-Jacke auf der eine “44” im Stil von völkischen Runen abgebildet ist. Die “44” gilt hier als Szene-Code und soll die “88” für “Heil Hitler” ersetzen. In den Telegram-Kanälen mit Bezug zu Syke sind weitere neonazistischen Personen aktiv. Darunter im Kanal “Freiheitsboten Syke“. Dort agitiert Felix Redmann. Ein Neonazi aus Verden, welcher auch an der Vernetzung mit den Syker Aufmärschen beteiligt sein soll. Auf seinen Accounts findet sich eine direkte Verbindung zu Malte Bormann. Einem bekennenden Neonazi, der auf dem einst NPD geführten “Heisenhof” in Dörverden lebte und mitunter im Verdacht stand, Rohrbomben gebaut und einen Anschlag auf ein Mahnmal für NS-Zwangsarbeitende verübt zu haben. Redmann gehört zu den Akteuren, die eine direkte Verbindung zu AfD-PolitikerInnen haben. Einer davon ist der Richter und niedersächsische AfD-Abgeordnete Christopher Emden. Emden lief bereits in Rotenburg auf den “Corona”-Aufmärschen. Dort traf er mit Redmann zusammen und sie reichten sich wie alte Bekannte die Hand.
Die Aufmärsche in der Region sind, anders als es der Verfassungsschutz darstellt, nicht von RechtsextremistInnen unterwandert, sondern inzwischen allein aus Netzwerken der extrem Rechten organisiert. Die Gefahr besteht, dass diese sich mangels Intervention in der Region verfestigen, mit entsprechenden Konsequenzen.
Redaktion
AfD Watch Bremen