Vor einigen Wochen wurde unserer Redaktion eine digitale Kopie eines Antrags auf ‘einstweilige Verfügung‘ gegen den Landesvorstand der AfD Bremen anonym zugespielt. Der daraus hervorgehende Sachverhalt ist ein Zeugnis für antidemokratische Methoden der Bremer AfD Führung. Mitglieder die Kritik an der Parteiführung und dessen Ausrichtung deutlich machen, werden mit Parteiausschlussverfahren (PAV) sanktioniert und ihre Mitgliedsrechte entzogen. Die Verfahren werden daraufhin vom parteiinternen Schiedsgericht offenbar verschleppt.
Die Methode eignet sich zur Sicherstellung, dass Mitglieder, die sich der ideologischen Ausrichtung am bundesweit dominierenden Höcke-Flügel widersetzen, in der Partei vollständig isoliert werden.
Dem uns vorliegenden Papier liegt ein Ausschlussverfahren gegen das Mitglied Michael K. zugrunde, beantragt vom Bremer AfD Vorstand, vertreten vom Parteichef Frank Magnitz. Das Ausschlussverfahren steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem bereits in den Medien berichteten tätlichen Angriff des Bürgerschaftsmitglieds Alexander Tassis, gegen das Parteimitglied Michael K., am 20.07.2015. Bei der Eskalation war es allem Anschein nach, um einen politischen Richtungsstreit gegangen. Tassis zeigte den Michael K. an und erklärte sich bei der Polizei selbst zum Opfer des Angriffs. Nach Beteuerung eines Zeugen wurde den Behörden deutlich, dass die Gewalt von Tassis und nicht von Michael K. ausging. Die Verfahren in der Sache wurden eingestellt.
Ausschlussverfahren als machtpolitisches Instrument
Trotz dessen wurde In der Folge gegen Michael K. ein Ausschlussverfahren vom AfD Vorstand veranlasst, dem Tassis damals noch angehörte. Der Vorwurf, dieser habe den damaligen:
“(..) Landesvorsitzenden Alexander Tassis in dessen Wohnung tätlich angegriffen und verletzt” – “Darüber hinaus hat er erneut Drohungen parteischädigender Natur bei diesem o.g. Vorfall ausgesprochen (..)”
Um das Auschlussverfahren und den damit verbundenen Entzug sämtlicher Mitgliedsrechte zu rechtfertigen, wurde allein auf die Darstellung von Tassis Bezug genommen. Tassis hatte 2015 offenkundig mit Falschbehauptungen Michael K. angezeigt. Eine spätere Berufung auf das von Tassis wahrscheinlich fingierte “Gedächtnisprotokoll”, hätte höchstens als Dokument in einem Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung gegen Tassis selbst getaugt. Es ist aber kein geeignetes Dokument als Grundlage für ein partei-internes Ausschlussverfahren und der Entziehung aller Rechte, gegen den in der Sache zu unrecht beschuldigen Michael K.
Dennoch wird Tassis sogenannter “Sachstandsbericht” als Beleg für die unterstellte “Schädigungsabsicht” von Michael K. herangezogen. Obwohl Tassis offenkundig als Quelle nicht glaubwürdig sein kann. Weiter heißt es in der Begründung des Vorstands:
“Herr K[.] hat innerparteilich und mit Außenwirkung seit diesem Zeitpunkt versucht zu verhindern, dass die AfD zur Landtagswahl am 10.05.2015 antreten konnte, was ihm allerdings weder über Einsprüche über den Landeswahlleiter noch aufgrund entsprechender strafrechtlicher Anzeigen und zivilgerichtlicher Verfahren gelungen ist.”
Ungewollt betont der Landesvorstand, dass Michael K. also versucht hat mit Rechtsmitteln und nicht mit Verstoß gegen die Satzung, die Radikalisierung an der Spitze der Landespartei zu kritisieren oder vielleicht sogar abzuwenden. Ein Ausschlussverfahren, basierend auf den AfD Satzungsbeschluss, lässt sich aber nicht schon damit begründen, das ein Mitglied wagt Parteifunktionäre zu kritisieren, einen Richtungsstreit anzustoßen oder Rechtsmittel einzulegen. Parteien und ihre Vorstände, müssen sich sowohl von der Öffentlichkeit, als auch von von der Basis kritisieren lassen. Ohne diese Freiheit, ist ein demokratischer Willensbildungsprozess gar nicht denkbar.
Entziehung von Mitbestimmungsrechten kein Einzelfall
Im der uns vorliegenden Kopie des Antrags auf Einstweilige Verfügung gegen den Landesvorstand heißt es:
“Dem Antragsteller ist bekannt, dass es ist übliche Praxis des Antragsgegners [AfD Vorstand] ist, unbequeme Mitglieder durch Parteiausschlussverfahren aller Rechte zu berauben, damit sie ihre Stimme bei den internen Wahlen nicht dem konkurrierenden Bewerber (im Vorstand) geben können”
In dem Schriftsatz finden sich mehrere Fundstellen, die erkennbar machen, dass die AfD Führung wohl systematisch dafür sorgt, dass abweichende Mitglieder, die mit Entscheidungen, sowohl zur Ausrichtung, wie auch zur Besetzung der Parteiführung nicht einverstanden sind, faktisch ausgeschaltet werden. Die Missachtung grundlegender Demokratieprinzipien werden auch von ganz anderen Bremer AfD Funktionären bemängelt. Wie unsere Recherchen in unserem Bericht Maulkorb für Partei-Querulanten dokumentieren. Darin erklärt ein Beiratsmitglied der AfD Bremen, Achim Dubois:
“Ich wünschte [AfD Watch Bremen] hätte unrecht. Was die Menge an Ausschlussverfahren gegen Mitglieder angeht, die niemals Erfolg haben werden, den Betroffenen in wichtigen Phasen aber das Wahlrecht nahmen. kann ich nur bestätigen. Die Partei ist krank, hat demokratische Defizite (..)“
Die AfD Führung und das zuständige Landesschiedsgericht verhalten sich nicht nur ausnahmsweise so, wie sie sicherlich behaupten werden. Denn wie der Rechtsbeistand im Namen seines Mandanten Michael K. durch seine Einlassung erkennen lässt, scheint es gängige Praxis des Landesverbandes eine systematische Isolierung von abweichenden Mitgliedern, unter Missbrauch der Parteisatzung, zu betreiben. Die Aussage des Rechtsbeistands von Michael K., untermauert die gezielte Unterdrückung demokratischer Willensbildungsprozesse innerhalb der Partei, wie folgt:
“Es kann schlechterdings nicht angehen, dass der Antragsgegner [Vorstand AfD Bremen] sich nicht an die Satzung hält und alle kritischen Mitglieder mit einer PAV ihrer Rechte enthebt”
Beihilfe des Landesschiedsgerichts durch Verschleppung?
Was hier zudem besonders kritisch zu Buche schlägt ist, dass es so aussieht, als ob das niedersächsische AfD Landesschiedsgericht, hier bei der missbräuchlichen Anwendung des Ausschlussverfahrens, dem Vorstand Beihilfe durch Verfahrensverschleppung leistet.
So konstatiert der Rechtsbeistand des Klägers [Antragssteller] gegen den Vorstand der AfD Bremen:
“(..) es passiert rein gar nichts, dem Antragsteller wurde nicht einmal die Anklageschrift [durch das Landesschiedsgericht in Niedersachsen] in vollständiger Fassung zugestellt, so dass er keine Möglichkeit hat, den unwahren Vorwürfen entgegen zu treten”
Weiter heißt es in dem Schriftwechsel:
“Auf diverse Anfragen des Antragstellers, welche er seit über einem Jahr bei dem Landesschiedsgericht stellt, wird nicht reagiert. Das Schiedsgericht bleibt auch trotz mehrmaliger Anfragen die durch [den Rechtsbeistand] gestellt wurden, schlicht und ergreifend untätig. Es kommt keinerlei Reaktion, so dass von einem absoluten Stillstand der parteiinternen Rechtspflege (..) auszugehen ist”
Das mehrfache Anfragen, sowohl durch das Mitglied Michael K., als auch durch dessen Rechtsbeistand, lassen eine vorsätzliche Untätigkeit vom Schiedsgericht unterstellen. Dass die SchiedsrichterInnen zugunsten des Erhalts von Machtinteressen des Bremer Vorstands das Verfahren verschleppen, ist nicht auszuschießen. Das Untätig bleiben deutet auf interne Absprachen zwischen den Verantwortlichen in Bremen und Niedersachsen hin. Da das fragliche Schiedsgericht der AfD aus verschiedenen VolljuristInnen zusammengesetzt war und ist, kann auch nicht von mangelnder Rechtskenntnis oder Personalmangel ausgegangen werden. Zudem könnte auch bei ihnen ein politisches Interesse an der Verschleppung bestehen. Das Landesschiedsgericht steht unter dem Einfluss vom niedersächsischen Parteichef und Beisitzer des AfD Bundesvorstands Armin-Paul Hampel. Dieser strebt, wie der Bremer Landes-Chef Magnitz und Alexander Tassis, die Durchsetzung des ultrarechten Diskurses in der gesamten AfD an. Zudem pflegt Hampe gute Kontakte zum Bremer Vorstand. Wie sein Besuch, ausgerechnet im Zuge eines Bremer AfD Sonderparteitages, auf Einladung von Magnitz, unterstreicht. Die Wege sind also kurz.
Ausschussverfahren eignen sich zur Unterdrückung und zur Täuschung
Die Gründe dafür, ungehorsame AbweichlerInnen nicht einfach mit schnellen Verfahren aus der Partei zu werfen, dürften darin liegen, dass die AfD Schiedsgerichte samt Vorstand, mit ihren substanzlosen Begründungen vor Zivilgerichten kategorisch scheitern würden. Des Weiteren lässt sich aus dem uns vorliegenden Papier erkennen, dass das AfD Schiedsgericht den Weg zivilrechtlicher Klagen bereits auf erster Ebene verbaut. Partei-interne Rechtsmittel gegen Ausschlussverfahren haben grundsätzlich Vorrang vor zivilgerichtlicher Überprüfung. Notwendige Schriftsätze zur Verteidigung, werden aber gar nicht erst vom Schiedsgericht an das isolierte Mitglied übermittelt. Somit können Rechtsmittel des betroffenen Mitglieds auch nicht sachgerecht vorgebracht werden. Faktisch bleibt ein Mitglied auf dieser Ebene ohne Möglichkeit, sich gegen die Entmündigung durch den Vorstand zu wehren. Des Weiteren muss durch das Verschleppen partei-interner Verfahren, die AfD weder auf Mitgliedsbeiträge, noch auf eine wohlklingende Mitglieder-Statistik verzichten und spart die Kosten solcher Verfahren. Vor allem aber hält sie sich jeden Meinungspluralismus innerhalb der Partei fern.
Das Ausschlussverfahren bedient die AfD bundesweit wohl auch in eine andere Richtung. AkteurInnen, die in der breiten Öffentlichkeit wegen ihrer Restaurierung von Rassentheorien, Holocaust-Leugnung oder Volksverhetzung aufgefallen sind, werden mithilfe der Ankündigung eines Ausschlussverfahrens aus der öffentlichen Kritik gezogen. Diese “Ausschlussverfahren” sollen der Öffentlichkeit vermitteln, die betreffenden Spitzenfunktionäre würden partei-intern diszipliniert. Beispiel Höcke, Gedeon oder Nerstheimer. Beim genauen Nachforschen lässt sich jedoch feststellen, dass diese Funktionäre aufgrund ihrer Bedeutung für die Partei, keine Sanktionierung erfahren und nur kurzfristig auf die hinteren Bänke gesetzt werden. Solange bis die öffentliche Empörung verschwindet. Tatsächlich aber bleiben diese Funktionäre weiterhin für die Partei mit allen Befugnissen aktiv. Bundesweit sitzen in diversen Schiedsgerichten glühende Anhänger des Höcke-Flügels. Dass diese kein eigenständiges Interesse verfolgen, Funktionäre die der Sache nützlich sind, zu sanktionieren, liegt auf der Hand. Das Ausschlussverfahren wird somit für AfD Vorstände zu einem machtpolitischen Instrument und für die Öffentlichkeit zu einer Farce.
Fehlen innerer demokratischer Ordnung
Wie viele solcher und ähnlicher Fälle bundesweit vorliegen, muss verstärkt transparent gemacht werden. Die AfD ist eine demokratiefeindliche Organisation, unter dem Schutzmantel des Parteien-Status. Die nicht nur programmatisch antidemokratische Positionen in der Öffentlichkeit vertritt, sondern auch intern bereit ist systematisch eine antidemokratische Praxis gegen ihre Mitglieder zu organisieren.
Der vorliegende Fall ist ein weiteres Dokument dafür, dass die Bremer AfD Führung außerhalb demokratischer Grundsätze operiert und somit nicht nur politisch, sondern auch insgesamt als “Partei” disqualifiziert ist. Ihr parteiinteres Vorgehen gegen abweichende Mitglieder, ist ferner das Äquivalent zu ihren autokratischen Bestrebungen nach außen. Verfolgung und Entrechtung Andersdenkender war und ist solchen Bestrebungen immanent. Die AfD lässt mangels innerer demokratischer Ordnung keine Eignung erkennen, öffentliche Verantwortung als Partei übernehmen zu können.
Redaktion
AfD Watch Bremen
*Die digitale Kopie die diesem Bericht zugrunde liegt, erscheint in Kürze unter der Rubrik: Leaks
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