Mehrere hundert empörte AktivistInnen, ParlamentarierInnen, Jugendorganisationen und autonome Gruppen kamen vor die Bremer FDP Zentrale und hielten Redebeiträge gegen die Entscheidung der FDP, sich mit AfD Stimmen das Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen sichern zu lassen.

In Thüringen lässt der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich sich für viele überraschend mit Stimmen der AfD, ausgerechnet unter der Machtsphäre des Rechtsextremisten Björn Höcke zum Ministerpräsidenten wählen. Dies führte nicht nur zu Unverständnis auf dem politischen Bankett, sondern sorgte auch bundesweit für lauten Protest auf den Straßen. Eine Zäsur mit Ansage. 

“Wer lässt sich mit Nazis ein? FDP Scheißverein!”,  schallt es am gestrigen Abend vor der Bremer FDP-Zentrale über den Platz. Einige Hundert Demonstrierende hatten sich spontan versammelt, um in Richtung FDP ihren Unmut über die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten kund zu tun. Bundesweit kamen nach unabhängigen Zählungen über 20.000 Menschen zu Eil-Versammlungen vor FDP Büros. In Redebeiträgen betonten Bremer AktivistInnen ihre Empörung darüber, dass der Thüringer FDP-Kandidat Kemmerich, sich mit den Stimmen der extrem rechten AfD ins höchste politische Amt in Thüringen hat wählen lassen. Die AfD-Fraktion hatte im dritten Wahlverfahren geschlossen dem FDP-Kandidaten ihre Stimmen gegeben und ihren eigenen Kandidaten, Christoph Kindervater, fallen gelassen. Dass die FDP dies für sich kalkuliert hatte, lässt Thomas Kemmerich’s Äußerung “Wir mussten damit rechnen, dass das passiert!” im ZDF Heute Journal unterstellen. Einige vermuten Absprachen mit der AfD.

FDP steht isoliert da

Zwei AktivistInnen am 05.02.2020 vor der Bremer FDP Zentrale. Nach der Bundestagswahl 2017 stahl sich die FDP aus der Verantwortung mit dem Slogan des Parteichefs Christian Lindner: “Lieber nicht regieren, als falsch zu regieren“: – In Anbetracht des jetzigen Desasters, zeigt die FDP erneut das Verantwortung übernehmen nicht zu ihren Stärken gehört.

In Bremen herrscht auch seitens VertreterInnen der Landesregierung (Bürgerschaft) überwiegend Einigkeit darüber, dass es ein Novum ist, sich mit Hilfe der extrem rechten AfD ins Amt wählen zu lassen. Die AfD in Thüringen ist durch die Galionsfigur Björn Höcke und sein neonazistisches Netzwerk, als besonders radikal einzuordnen. Trotz wissen um die Verbindungen der AfD ins militant neonazistische Milieu und ihrer Mitverantwortung für die Zunahme rechten Terrors, der mit an der Thüringer Wahlurne saß, zeigten weder die FDP in Thüringen, noch die Bremer FDP-Fraktionsvorsitzende Lencke Wischhusen, am gestrigen Abend Verständnis für kritische Stimmen. So erklärte der politische Referent der Bremer FDP, Class Bansemer via Twitter:  “Mir ist als Demokrat der Mitte diese Wahl lieber, als die Wahl eines Ministerpräsidenten der Linken. Ja, stehe ich zu. Nicht vergessen: Die Linke ist und bleibt Rechtsnachfolgerin der SED“. – Ausgerechnet den in der nähe Bremens aufgewachsenen Thüringer Linken Bodo Ramelow, mit der seit 30 Jahren untergegangenen SED in Verbindung zu bringen, um über die aktuellen neonazistischen Umtriebe der AfD nicht sprechen zu müssen, ist schon mehr als schäbig. Bedient es schlicht das Narrativ der AfD und bietet keine Grundlage zur Diskussion.

Da hilft es auch nicht, wenn vereinzelt FDP-Funktionäre sich Kopf schüttelnd von ihren KollegInnen in Thüringen distanzieren. Eine unmittelbare Forderung, die Wahl nicht anzunehmen, wie es von geschichtsbewussten DemokratInnen abverlangt werden kann, war bislang nur von wenigen FDP-PolitikerInnen zu hören. Zu sehr steht das eigene Machtinteresse im Vordergrund, und das obwohl die FDP Fraktion in Thüringen die kleinste Fraktion im Landtag abbildet. Folglich überhaupt gar keinen WählerInnen-Auftrag für das Ministerpäsidenten-Amt mitbringt. Dass ihr Eis sowieso sehr dünn ist, ignoriert die FDP. Sie sucht lieber Verfehlung bei den Linken, während sie sich von einer völkisch-nationalistischen Partei ins Amt tragen lässt. Wenn das die FDP weiterhin unter “Politik der Mitte” versteht, hat die AfD noch lange jede Menge Sektkorken zu knallen. 

Bremer AfD sieht “richtige Richtung”

Dass die Thüringer FDP sich vor aller Augen von der AfD hat kaufen lassen und damit die bürgerliche Inszenierung der extremen Rechten stärkt, gefällt selbstverständlich auch der Bremer AfD. Diese ist haltlos zerstritten und ohne politische Relevanz im Bundesland Bremen. Für sie also die Ereignisse in Thüringen, eine ideale Chance von sich abzulenken. So behauptete der Bremer AfD-Abgeordnete Frank Magnitz gegenüber Buten un Binnen, dass mit der Wahl das “bürgerliche Lager gemeinsam in die richtige Richtung” gegangen sei. – Dass die AfD vieles ist, aber ganz bestimmt nicht “bürgerlich” und dass diese Zäsur in Thüringen keine “richtige Richtung” für die Zukunft der Demokratie sein kann, wird Magnitz an diesem Abend nicht mehr zu hören bekommen. Das muss er bei diesen Verhältnissen auch nicht. Faktisch ist der eigentliche Wahlsieger in Thüringen die AfD. 

Nach der Protestveranstaltung vor der Bremer FDP Zentrale, entschlossen sich einige AktivistInnen zu einer Sponti durch den Bremer Schnoor zum Ziegenmarkt im Viertel.

Zentralrat der Juden fassungslos

Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle, der Restauration von Antisemitismus in der bürgerlichen Mitte, welcher vor allem von AkteurInnen der AfD forciert wird, sorgte die Wahl in Thüringen auch in den jüdischen Communities für Empörung. Der Zentralrat der Juden zeigte sich entsetzt über den Ausgang der Wahl. So konstatiert der Präsident des Zentralrats Dr. Josef Schuster, in einer Pressemitteilung: “Ich bin entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen. Damit verlässt die FDP den Konsens der demokratischen Parteien, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten oder auf die Unterstützung der Rechtspopulisten zu zählen. Der Vorgang in Thüringen ist besonders schockierend, da die freidemokratische Partei die politische Heimat des früheren Zentralratspräsidenten Ignatz Bubis war. Zugleich war die FDP aber auch die Partei von Jürgen Möllemann. Mit dem Verhalten der FDP in Thüringen wird offensichtlich, dass dieser Geist weiterhin in der Partei vorherrscht”. –

Aufgrund öffentlichen Drucks wird aktuell noch einmal über die Wahl auch unter einigen FDP-PolitikerInnen diskutiert, ob Neuwahlen nicht das Gebot der Stunde sein sollten. So oder so, auch wenn die FDP das Ruder rumreißt, der Schaden bleibt. Nun wird der Riss in der FDP nicht mehr zu verstecken sein, dass es für einen Teil der Neoliberalen absolut in Ordnung ist, sich für die eigenen Machtinteressen mit Faschisten einzulassen.

Redaktion
AfD Watch Bremen